Lianpu – Die „Maske“ in der Pekingoper

Pekingoper

(Ich wurde vor der Aufführung leider nicht in die Maske gelassen, deshalb sind Lianpu-Bilder hier bei pinterest zu sehen.)

Die Pekingoper fasziniert durch korrekte Bewegungen, Haltung und Gesten der Darsteller, sowie durch traditionelle gesprochene und gesungene Texte. Doch was muss noch stimmen? Das Make-Up im Gesicht der Darsteller.

Bei dem Lianpu in der Pekingoper handelt es sich um eine Malanleitung (chin. pu) für das Gesicht (chin. lian) der Schauspieler. Es ist schwer vorstellbar, zu welch komplizierter Bildkunst, sowohl was das Auftragen der Farbe betrifft, als auch die Klassifikation und Symbolik der Resultate, sich diese Vorbereitungen auf den Aufführakt entwickelt haben. Es besteht beispielsweise der Anspruch, die Linien des Lianpus exakt mit den Gesichtszügen des Schauspielers übereinstimmen zu lassen, damit die Bemalung auf der Bühne letztendlich lebhaft wirkt, und der Schauspieler sie zum Ausdruck von Emotionen etc. effektvoll einsetzen kann. Selbst Meister wie Zhang Daqian gestehen, dass beispielsweise das Lianpu von Cao Cao, einer Figur aus der „Geschichte der Drei Reiche“, schwierig aufzutragen sei, obwohl es so einfach wirke; es handelt sich ja um ein „Gesamtgesicht“ mit einer flächendeckenden Grundfarbe. Und gerade wenn es dem Meister nicht gelingt, die Farbe mit Falten und Muskeln harmonieren zu lassen, und das Ergebnis schließlich an Lebhaftigkeit einbüßt und starr wie eine Maske wirkt, dann ist die Wirkung verfehlt, und es wird auch „totes Lianpu“ genannt.

Ursprünglich trugen die Schauspieler bei Gesangs- und Tanzaufführungen sogar noch Masken, und zwar im 5. – 10. Jahrhundert. Heute noch ist dieser Brauch in einem kleinen Dorf in Guizhou (Südchina) zu finden, wo er von einer kleinen nationalen Minderheit Chinas gepflegt wird. Im 12. / 13. Jahrhundert wurde dann zum ersten Mal ein Clown-Gesicht gesehen, das ist ein Lianpu mit wenig Bemalung, das hauptsächlich aus einem weißen Quadrat oder einer Raute, die um die Nase gemalt ist, besteht. Und diese Methode wurde immer weiter entwickelt, denn man erkannte den Vorzug des Wandelbaren und Lebhaften einer ausgiebigen und detaillierten Gesichtsbemalung. Ein weiterer Grund soll sein, dass die Aufführungen damals unter freiem Himmel stattfanden, und auch die weit entfernt stehenden Zuschauer Ausdruck und Mimik eines Darstellers mit einem Lianpu schnell und leicht erkennen konnten. Im 18. /19. Jahrhundert, als die Entwicklung des Lianpus anfing, Hand in Hand mit der Entwicklung der Theaterkunst zu gehen, wurden auch Muster und Farben immer reichhaltiger, bis man immer deutlicher den Charakter der unterschiedlichen Persönlichkeiten erkennen konnte, die von dem Schauspieler mit dem Lianpu dargestellt werden sollten. Und schließlich wurden so bestimmte Lianpus speziell für mythische und historische Figuren geschaffen, die sich auch nach wie vor immer weiter entwickeln, und es entstand eine vielschichtige Symbolik hinter jedem einzelnen Lianpu. Das Lianpu ist schließlich nicht mehr länger nur ein Mittel, um Gesichtszüge hervorzuheben oder charakterliche Merkmale, die der Handlung in dem Theaterstück dienen, sondern ist eine Kunst an sich. So findet man Lianpus auf Fächern oder anderen Kulturgegenständen als Dekoration, und es ist zu einem Symbol nicht nur für die Pekingoper, sondern für die gesamte chinesische Kultur geworden.

Die Maltechnik

Das Make-Up auftragen zu können, erfordert ein spezielles Training. Im Unterschied zum Make-Up im Sprechtheater ist das Pekingoper-Make-Up so speziell, dass selbst ein langjähriger Schauspieler es ohne spezielle Ausbildung nicht auftragen kann. Jedes Lianpu muss an das Gesicht und die Besonderheiten der Aufführung des Programms angepasst werden, es kann nicht einfach kopiert werden. Einen Schauspieler des Sprechtheaters kann man mit Schminke noch wieder erkennen, einen Schauspieler der Pekingoper nicht mehr.

Beim Auftragen des Make-Ups für ein „Drei-Ziegel-Gesicht“ – dem Klassiker – wird das Gesicht zunächst mit Wasserweiß grundiert, und dann die „drei Ziegel“: die beiden Augenhöhlen mit Brauen sowie der Bereich unter der Nase links und rechts am Mund herunter bis zum Kinn, dick schwarz betont. Schließlich wird Weiß, Schwarz und zum Schluss Rot aufgetragen.

Die Farben

Weiß, Schwarz und Rot sind die Grundfarben. Angeblich liegt es in der chinesischen Tradition begründet, dass diese Farben als natürlich und schön empfunden werden: schwarze Haare, weiße Haut und rote Lippen. Oder beispielsweise auch in der chinesischen Kalligrafie: Es wird mit schwarzer Tinte auf weißem Papier geschrieben, der Stempel ist rot. Außerdem sind diese Farben verhältnismäßig kräftig, so dass auch dies der Aufführung unter freiem Himmel sehr entgegen kam. In wenigen Fällen werden diese drei Farben nicht betont; es handelt sich dabei aber dann um Kranke oder heruntergekommene Bettler.

Die verwendeten Farben beinhalten eine Symbolik, die sich einerseits vom alltäglichen Sprachgebrauch, Redewendungen und Sprichwörtern ableitet, wie zum Beispiel: „Er ist vor Schreck ganz gelb.“ u.ä. Andererseits wurde bei der Auswahl der Farben für die Lianpus aber auch auf Beschreibungen der entsprechenden Charaktere in Volkserzählungen geachtet. Letztendlich bewirkt dies alles, dass man allein aus dem Lianpu bereits Alter, Wesen, Temperament der Figur herauslesen kann, und – wenn man sich sehr gut auskennt – schon weiß, um welche Persönlichkeit es sich handelt. Prinzipiell steht

Rot: für Ergebenheit und Loyalität
Rosa: für Kämpfer mit großer Tugend und hohem Prestige
Schwarz: für Treue und Rechtschaffenheit
Gelb: für Boshaftigkeit und Grausamkeit
Blau: für Unnachgiebigkeit und leichte Erregbarkeit
Wasserweiß: für Tücke und Heuchelei
Ölweiß: für Einbildung und Tyrannei
Gold und Silber: für Heilige

Die Einteilung ist allerdings nicht absolut, sondern flexibel. Es gibt einige Ausnahmen. Beispielsweise wird Rot für Guan Yu aus der „Geschichte der Drei Reiche“ verwendet, weil er in der Pekingoper als guter Charakter dargestellt wird, als loyaler Kämpfer. Bei dem Eunuchen Liu Jin aus „Fa men si“ jedoch bedeutet das rote Gesicht, dass er in hohem Komfort lebt und seine hohe Position genießt. Er hat Macht und Einfluss, und außerdem sind um Augen, Augenbrauen und Mund einige tückische Züge gezeichnet, so dass „jeder auf den ersten Blick sieht, dass er nur die Macht an sich reißen will“.
Eine andere Ausnahme findet man bei Chao Gai, dem Anführer der Rebellen vom Liangshan-Moor (Shuihuzhuan). Er hat in der Pekingoper ein gelbes Gesicht, aber hier bedeutet gelb nicht grausam, sondern leitet sich eher aus dem umgangssprachlichen „Er ist vor Schreck ganz gelb“ her, außerdem hat er einen roten Schein zwischen den Augenbrauen, was wiederum auf eine korrekte und ehrwürdige Haltung hinweist, „so dass man auf den ersten Blick sieht, dass er ein loyaler alter Held ist“.
Das Besondere an der Gesichtsbemalung der drei Figuren Li Gang, Yao Gang und Xue Gang aus „San gang bu jian hong“ ist, dass kein einziger Flecken Rot zu sehen ist; noch nicht einmal die Lippen sind rot. Das liegt daran, dass der Charakter dieser drei Figuren sich durch Eigensinn und Dickköpfigkeit auszeichnet, sie sind entschlossen und standfest, auf der Bühne müssen sie ernst, ruhig und sicher vortragen. Rot oder auch Rosa wäre für diese Figuren nicht angebracht.

Die Formgebung

Bei der Formgebung des Lianpu spielt die Art und die Reihenfolge, in der die Farbe aufgetragen wird, eine ganz erhebliche Rolle. Beim „Gesamtgesicht“, einer der wichtigsten Formen, wird beispielsweise das Gesicht mit der Grundfarbe grundiert und danach werden mit schwarzen Strichen Falten im Gesicht nachgezogen; Augenbrauen und Augen verändern nicht Form und Position. Beim „Bild-Gesicht“ hingegen werden sofort verschiedene Konturen auf das Gesicht aufgetragen. Das Gesicht kann sich dabei völlig verändern.

Guan Yu, Cao Cao und Bao Zheng sind typische Vertreter des Gesamtgesichtes. Obwohl Bao Zheng noch eine Mondsichel auf der Stirn hat, wird sein Lianpu trotzdem zu den Gesamtgesichtern gezählt, denn es handelt sich dabei lediglich um eine Verzierung. Cao Cao, General während der späten Han-Dynastie, wird in der Pekingoper durchweg als Tyrann dargestellt und hat demzufolge natürlich ein wasserweißes Gesicht. Wenn das ganze Gesicht weiß geschminkt ist und mit schwarzem Stift lediglich ein paar Gesichtszüge nachgezogen sind, so sollen dies alles Beamte mit hoher Machtstellung sein, die Böses anrichten. Bei Cao Cao soll die weiße Schicht im Gesicht ausdrücken, dass er sein wahres Gesicht verstecken will. Oft sind mit dünnen Strichen drei Ecken um die Augen gemalt, die die Verschlagenheit seines Charakters betonen sollen.
Von den Gesamtgesichtern kann man das Sechs-Teile-Gesicht ableiten. Der Name leitet sich davon ab, dass das Gesicht nach der Bemalung dann im Prinzip in vier Teile (in einer Farbe) und sechs Teile (in einer anderen Farbe) aufgeteilt ist. Die unteren 60% der Bemalung folgen weiterhin den Regeln des Gesamtgesichtes. Meistens werden beim Sechs-Teile-Gesicht zwischen zwei dicke weiße Augenbrauen zwei sehr dicke schwarze Punkte aufgetragen; das Lianpu heißt dann auch „Altes Gesicht“ und wird meist von älteren Soldaten getragen.

Der Klassiker ist und bleibt das Drei-Ziegel-Gesicht. Charakteristisch ist, dass nach dem Auftragen der Grundfarbe mit schwarzer Farbe dick die „drei Ziegel“ (beide Augenhöhlen und der Bereich unter der Nase bis zum Kinn) nachgemalt werden. Auf der Basis des Drei-Ziegel-Gesichtes können die Züge der Augenbrauen und der Nase etwas variiert werden, Farbe und Muster hinzugefügt werden. Dann nennt man es das „Gemusterte Drei-Ziegel-Gesicht“. Die dargestellten Personen sind gesetzlose gute Han, gewandt und tapfer. Ein Beispiel ist Dou Erdun, in dessen Gesicht zusätzlich, weil er gut mit dem Tigerkopf-Doppelhaken umgehen konnte, zwischen die Augen das Bild von der Waffe gemalt wird. Eine weitere Variation ist das „Kreuz-Gesicht“, bei dem auf der Basis des Drei-Ziegel-Gesichts von der Nasenspitze bis zum Scheitel eine dünne schwarze Linie gezogen wird, und anschließend durch eine schwarze waagerechte Linie die Augenpartien miteinander verbunden werden, so dass zwischen den Augen ein Kreuz entsteht. Es handelt sich oft um heroische Kampfsoldaten, positive Charaktere.

Das zuvor genannte „Bild-Gesicht“ mit der nicht festgelegten „Malanleitung“ findet sich hauptsächlich in Stücken mit mythischen Gestalten wieder. Beispielsweise der Affe aus der „Reise nach Westen“, Sun Wukong, trägt ein typisches Bild-Gesicht, in dem man versucht, die Gesichtszüge eines Affen nachzuzeichnen.

Wichtig ist noch das „Zerbrochene Gesicht“, das sich durch eine ausgesprochene Asymmetrie der bereits genannten Gesichtsteile auszeichnet. Damit soll entweder ausgedrückt werden, dass die Figur sehr hässlich ist. Oder es soll außerdem betont werden, dass es sich um einen schlechten, bösen Charakter handelt. Es wird aber auch manchmal verwendet, um einen guten Charakter darzustellen, zum Beispiel Zheng Ziming. Weil er in jungen Jahren einmal im Gesicht verletzt wurde, und zwar weil er jemand anderem helfen wollte, wird er in der Pekingoper mit einem schwarzen „Zerbrochenen Gesicht“ dargestellt. Auch Liu Biao, der nach dem klassischen Roman Shuihuzhuan eigentlich ein gut aussehender Bursche sein soll, bekommt in der Pekingoper ein zerbrochenes Lianpu. Und zwar weil es sich zugetragen haben soll, dass ihm drei Frauen geraubt worden sein sollen, und er sich so darüber geärgert haben soll, dass er einen schiefen Mund bekommen hat.

Interessant ist noch das „Clown-Gesicht“, das im Vergleich zu den anderen sehr sparsam mit Farbe umgeht. Lediglich um den Nasenbalken herum wird ein weißes quadratisches, ovales, dattelkernförmiges o.ä. Stück aufgetragen, auch „Tofu-Stück“ genannt. Die Form des Tofu-Stücks ist nicht festgelegt. Innerhalb der Clown-Gesichter findet sich in allen Variationen jeder Charakter – ob gut oder böse – wieder. Die dargestellten Persönlichkeiten können sowohl Kaiser und Beamte, als auch Mauleseltreiber und Schirmträger sein.

Die symbolischen Ausdrucksmethoden des Lianpu

Nicht nur die physiologische Form (jung, alt, gut aussehend, hässlich) wird durch das Make-Up modelliert, sondern auch die soziale Zugehörigkeit (Persönlichkeit, Können, Spitzname), sogar die normalerweise verwendete Waffe wird in dem Muster im Gesicht nachgezeichnet. Auf das Gesicht des „Großen Wagens“ ist das Sternbild gemalt, auf das Gesicht des Feuergeistes sind Flammen gemalt. Zhao Kuangyin (König Taizu) hat zwischen den Augen Heusenkraut gemalt (Symbol für die Kaiser), Hu Yanzan hat auf der Stirn das Schriftzeichen „Wang“ (König). Bei beiden sagt dies etwas über deren Persönlichkeit aus. Zhong Lichun hat im Lianpu einen Lotos, was ausdrückt, dass sie weiblich ist. Das bösartige Geschwür neben dem linken Auge von Si Mashi, die Pfeilverletzung auf dem linken Auge von Xia Houdun, die Adlerklauennarbe auf dem Gesicht von Li Keyong, all diese Merkmale drücken in unterschiedlichem Maße die besonderen Eigenschaften der dargestellten Persönlichkeiten aus.

Ein Lianpu tragen nur Darsteller, die einen aufbrausenden rauen Charakter haben. Oder sie sind ganz besonders aufrichtig und loyal, oder besonders entschlossen und standfest, oder besonders hinterhältig und tückisch, oder besonders böse und grausam. Nur solche Charaktere tragen ein Lianpu, die außergewöhnlich und vom Verhalten her herausragend sind. Kultivierte und höfliche, natürliche und ungezwungene Charaktere tragen kein Lianpu.

(Quellen: Zhao Menglin „Zhongguo jingju lianpu – Farcial Makeup in Beijing Opera of China“ (2008);
Wu Tongbing „Jingju zhishi shouce“ (Pekingoper-Handbuch) (2005) )

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